Konzert am 12. November 2010

Interview mit Karsten Troyke

10.11.2010 | Internetredaktion: Sie treten am Freitag im Rahmen der Antifa-Woche der IG Metall Wolfsburg auf. Was verbinden Sie mit dem Thema Antifaschismus? Karsten Troyke: Meine Familie mütterlicherseits: Meine Urgroßeltern Liddy und Götz Kilian waren exponierte KPD-Abgeordnete in Berlin-Köpenick. Die Auswirkungen der Misshandlungen in der 1933er „Köpenicker Blutwoche“ kosteten Götz 1940 das Leben. Meine Großmutter Isot Kilian gehörte 1949 zu den Gründungsmitgliedern von Bertolt Brechts „Berliner Ensemble“. Das „Nein“ und vor allem das „Nie wieder!“ zum deutschen Nationalsozialismus und die Hoffnung auf eine gerechtere Gesellschaftsform war die Haltung all der Antifaschisten, unter denen ich praktisch aufwuchs. Ich bin davon geprägt und habe eine tiefe Abneigung gegen elitäres Denken, Rassismus und Antisemitismus.

Auch das Bewusstsein, dass die Familie meines Vaters Josh Sellhorn den faschistischen Repressionen nur deshalb entkommen ist, weil mein Großvater Hans Sellhorn durch Bestechung und „Betrug“ seine jüdische Mutter, eine geborene Nathan, aus den Akten entfernen lassen konnte, spielt für mich eine Rolle. So etwas wie einen „Arier-Pass“ sollte es nie und nirgends wieder geben.

Internetredaktion: Jiddische Musik oder die Musik der Roma und Sinti gelten gemeinhin als Musik für ein kleines, ausgewähltes Publikum, oder?

Karsten Troyke: Im Grunde schon. Es gab mal einen „Klezmer-Boom“, wo jede Vorstadt in Deutschland plötzlich ihre eigene Klezmer-Gruppe hatte. Aber kommerziell war auch das nicht wirklich. Klezmer ist ein jiddisches Wort und heißt Musiker. Klezmer-Musik ist also Musikermusik. Auch die Erfolge der „Gypsy Kings“ Anfang der 1990er Jahre, sie kamen tatsächlich in die Charts, sind wieder etwas abgeklungen. Weder die Musik der Roma noch die jiddischen Lieder sind auch je im Fernsehen zu sehen - außer manchmal, selten, auf Arte. Und man weiß ja: Was im TV nicht zu sehen ist, gibt es nicht.

Trotzdem haben wir in unseren Konzerten immer wieder ein herzliches und treues, kluges und interessiertes Publikum – kein „ausgewähltes“ Publikum, sondern Leute, die sich irgendwann, oft aus Zufall, in diese Lieder verliebt haben.

Internetredaktion: Sie sind mit ihrer Musik weit gereist. Gibt es eigentlich noch Orte, an denen Jiddisch gesprochen wird?

Karsten Troyke: Eigentlich überall, wo ich war. In Israel natürlich, auch in New York, in Australien, in Norwegen, in Paris usw. Das lag aber daran, dass in solche Konzerte ein großer Teil jüdisches Publikum kommt. Und in einigen Familien fast jeder großen Stadt der Welt wird durchaus jiddisch gesprochen. Nur in Polen und Deutschland gab es auch Konzerte, nach denen niemand oder nur einer mit mir Jiddisch sprach. Aber es gibt kaum noch Orte, wo Jiddisch den Alltag bestimmt, abgesehen von einigen orthodoxen Stadtvierteln in New York oder Jerusalem z.B. Das aber ist nicht die Kultur, für die ich mich interessiere. Und „meine“ jiddischen Volks- und Theaterlieder sind vielleicht auch nicht die ihren.

Internetredaktion: Wer Ihre Programme gesehen hat, der weiß, das in den von Ihnen vorgetragenen Liedern häufig Schwermut und Humor, Schrecken und Erleichterung nahe beieinander liegen. Ist das typisch für die jiddische Kultur?

Karsten Troyke: Das kann ich nicht so genau sagen. Immerhin ist jedes gute Lied, jedes Theaterstück, jeder Film, der Humor und Depression zu verbinden versteht, für mich etwas Wunderbares, egal vor welchem Hintergrund und in welcher Sprache. Daher kann ich auch mit der zurzeit so präsenten Comedy-Kultur nichts anfangen. Und herrliche tiefgehende Volkslieder, Lachen unter Tränen oder schwarzen Humor gibt es auch anderswo. Aber es kann schon sein, dass die verrückte und auch schlimme jüdische Geschichte etwas hervorgebracht hat in der Kultur, das man so leicht woanders nicht findet.

Internetredaktion: Der Titel Ihres Programms lautet „Shulim Alaychem – Friede sei mit Euch“. Was haben wir zu erwarten?

Karsten Troyke: „Shulim Alaykhem“ heißt das erste Lied, Friede sei mit Euch. Das ist ja der jiddische Gruß – im heutigen Hebräisch wäre das „Schalom Alechem“, auf arabisch „Salam Alaikum“. Lieder mit Herz und Verstand können nichts anderes als Frieden bringen. Trotzdem wird es auch einige Partisanenlieder geben, denn Frieden soll nicht heißen: Du darfst mich quälen, unterdrücken und ermorden, ich werde mich nicht wehren. Das wäre ja ein Friedhofsfrieden! Im Programm ist auch eine verzweifelte Ballade von Vladimir Vyssotzki, die Suzanna original russisch singt. Es gibt einige der schönsten jiddischen Lieder, einige Lieder von Georg Kreisler und natürlich die Roma-Lieder, die wir zum Teil zweistimmig singen.

Das Konzert findet am 12. November im Rahmen der Antifa-Woche der IG Metall im Hallenbad in Wolfsburg statt. Beginn ist 20:00 Uhr.

Siehe auch zum Thema:
Karsten Troyke: Shulim Alaychem – Friede sei mit Euch. Lieder aus dem antifaschistischen Widerstand und dem jiddischen Leben Osteuropas
Antifa-Woche der IG Metall vom 7. bis 12. November 2010: "Widerstand lohnt sich" Bürger zeigen Zivilcourage gegen Rechts