22.11.2023 | Gifhorn – Transformation und Digitalisierung stellen die gesamte Wirtschaft, insbesondere die Industrie, vor wahrscheinlich nie dagewesene Herausforderungen.
Wie man diesen als Betriebsrat, Gewerkschaft und Unternehmen entgegentreten kann, dazu lieferte jetzt eine inspirierende Betriebsräteschulung, zu der die IG Metall Wolfsburg geladen hatte, neue Denkanstöße. Als Gast-Referenten waren Peter Rasenberger vom Think-Tank GRANTIRO und Georg von der Ropp vom Business Modell Innovation Lab (BMI Lab) vor Ort in Wolfsburg und stellten den GRANTIRO-Prozess vor.
Das ganztägige Seminar, zu dem rund 70 Teilnehmer - darunter nicht nur Betriebsräte, sondern unter anderem auch Wissenschaftler und Vertreter der Allianz für die Region sowie der Transformationsagentur – kamen, wurde von Flavio Benites, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Wolfsburg, eröffnet. In seiner Begrüßung machte er auf den Ernst der Lage aufmerksam. Um die Transformation erfolgreich zu bewältigen, seien große Anstrengungen auf allen Seiten notwendig. „Wir können die Herausforderungen nur gemeinsam bewältigen. Von unserem Gelingen hängt nicht weniger ab als unser Wohlstand und unsere Demokratie“, sagte Benites. Die rasanten Veränderungen würden dabei auch von den Akteuren verlangen, sich und die bisherigen Methoden immer wieder zu hinterfragen und nach neuen Wegen zu suchen - das gelte auch für die Mitbestimmung.
Zum Beispiel, in dem die IG Metall versucht, mehr Einfluss auf die strategische Ausrichtung der Unternehmen zu bekommen. Diese Forderung hatte bereits die neue Erste Vorsitzende Christiane Benner in ihrem Zukunftsreferat auf dem Gewerkschaftstag aufgestellt. Und auf diese Notwendigkeit machte auch Gewerkschaftssekretär Türker Baloglu, der als Organisator und Referent durch das Seminar führte, aufmerksam. „Was können wir tun, wenn wir merken, dass ein Unternehmen keinen Plan für die Transformation hat? Ich bin davon überzeugt, dass die Fachkräfte eine riesige Innovationskraft besitzen, Sie kennen ihr Unternehmen und das Potenzial am besten. Bisher sind wir nur in der Lage, Vorschläge zu machen. Wir müssen dahin kommen, dass wir umsetzungsfähige Modelle präsentieren, mit denen wir die Geschäftsführung nicht nur politisch, sondern auch unternehmerisch überzeugen“, machte Baloglu klar.
Im GRANTIRO-Prozess sieht Baloglu genau diese Möglichkeit und damit eine Win-Win-Situation. Denn auch dieser geht von der Belegschaft als Innovationstreiber aus. Dieser aufwendige Prozess wurde während des Seminars in einem intensiven Schnelldurchlauf durchgespielt und gestaltet sich wie folgt: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden dazu angeleitet, anhand der Kernkompetenzen des Unternehmens neue Geschäftsideen zu entwickeln. Dabei sollen so viele Ideen wie möglich gesammelt werden. „Die großen Unternehmen wie Apple oder Amazon sind dauerhaft erfolgreich, weil sie zu jedem Zeitpunkt auf hunderte alternative Ideen für Wege in die Zukunft zurückgreifen und damit sehr schnell auf Veränderungen reagieren können“, sagt Rasenberger. Von den durch die Belegschaft entwickelten Ideen werden in einem zweiten Schritt die besten 30 ausgewählt und näher betrachtet.
Bis hierhin ein normaler Ideenfindungsprozess. Doch an dieser Stelle geht GRANTIRO einen Schritt weiter in Richtung Umsetzbarkeit. Die gesammelten Ideen werden nun auf das Interesse, dass sie im Markt erzeugen, hin überprüft. Für die drei vielversprechendsten Ideen werden letztlich mithilfe von Experten wie Georg von der Ropp detaillierte Business-Pläne ausgearbeitet.
Das Ziel ist einfach. Der Betriebsrat soll aus einer passiven Rolle in die eines handelnden Akteurs wechseln. „Mit dem Prozess wird die Alternativlosigkeit aufgelöst, mit denen die Geschäftsführung in der Regel Entscheidungen wie Personalabbau oder gar Betriebsschließungen begründet“, erklärt Baloglu. Zwar liegt die Entscheidungsmacht weiterhin bei der Geschäftsführung, durch die Vielzahl an Ideen und die geleistete Vorarbeit werde es an dieser Stelle aber deutlich schwerer, einfach nur abzulehnen. Schließlich obliegen die Geschäftsführungen immer der unternehmerischen Sorgfaltspflicht, wozu auch die ernste Prüfung von Alternativen gehört.
„Indem für beide Parteien Alternativen geschaffen werden, wird Augenhöhe zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat hergestellt“, betont Baloglu. Langfristig möchte er ein „Wolfsburger-Modell“ entwickeln, in dessen Rahmen Akteure wie Transformationsagenturen, Gewerkschaften, Wirtschaft und Wissenschaft zusammenarbeiten, um den Wandel zu gestalten.