IG Metall stellt Forderungen an Unternehmen, Politik und die kommende Bundesregierung

Gewerkschafter machen deutlich: "Wir müssen den Wandel in der Arbeitswelt gestalten und dafür brauchen wir Investitionen."

01.09.2021 | Wolfsburg/ Helmstedt/ Gifhorn – Arbeit, Wirtschaft und Gesellschaft stehen vor umfassenden Veränderungen, macht Flavio Benites, Chef der IG Metall Wolfsburg, deutlich: „Klimawandel, Digitalisierung und Globalisierung machen die Transformation der Industrie notwendig. Denn unsere Region soll auch in Zukunft eine starke Industrieregion sein, damit Wohlstand und gute Arbeitsplätze auch in einer klimaneutralen Wirtschaft erhalten bleiben.“

Flavio Benites

Matthias Disterheft

Christian Matzedda

Katrin Mehr

Klaus-Jürgen Herzberg

Heiko Jordan

Sabine Timpe

Die Geschäftsführer und Wohnbezirksleiter der IG Metall in Wolfsburg, Helmstedt und Gifhorn mit über 90.000 Mitgliedern sind sich einig, wenn es darum geht, den Wandel in der Arbeitswelt gestalten zu wollen und entsprechende Forderungen als Auftrag an Unternehmen, Politik und die kommende Bundesregierung zu stellen.

Der Erste Bevollmächtigte Benites, macht klar, dass gerade jetzt – aufgrund der rasant stattfindenden Veränderungen in der Arbeitswelt – Betriebsräte und Gewerkschaften mehr denn je gefragt sind: „Nur wenn wir in dieser großen Transformation gemeinsam mit den Beschäftigten die Zukunft gestalten, soziale Sicherheit und Perspektiven vermitteln und Gerechtigkeit schaffen, wird aus einer sozial-ökologischen Transformation ein fairer Wandel.“

„Gemeinsam mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus den Wohnbezirken werden wir uns auch in den kommenden Wochen mit Ständen in der Wolfsburger Innenstadt sowie in Helmstedt und Gifhorn zeigen, um uns in die kommunalpolitischen Debatten einzumischen, demokratische Prozesse zu stärken und zur Wahl aufzurufen“:

Die Infostände der Wohnbezirke sind am 4. September am Vormittag in Gifhorn vor der Volksbank und in Wittingen vor dem E-Center in der Celler Straße zu finden. Am 11. September geht es dann am Vormittag in der Helmstedter Innenstadt vor dem Rathaus und in der Wolfsburger Innenstadt vor der City Galerie weiter mit der von Metallerinnen und Metallern organisierten Tour durch die Region.

Für eine aktive Industrie- und Strukturpolitik

Den Wandel in der Arbeitswelt muss die Politik begleiten und gestalten, betont auch Matthias Disterheft, ebenfalls Geschäftsführer der IG Metall Wolfsburg: „Von der Automobilindustrie über den Maschinenbau und die Stahlindustrie bis hin zu den vielen Zulieferbetrieben der Metall- und Elektroindustrie, all diese Branchen stecken inmitten einer tiefgreifenden Veränderung. Deshalb verlangt die IG Metall Wolfsburg  von der künftigen Bundesregierung eine aktive Industrie- und Strukturpolitik. Erfolgreiche Ansätze zur Gestaltung der Transformation müssen in der eigenen Region – hier in SüdOstNiedersachsen – entwickelt und öffentlich finanziert werden“, so der Gewerkschafter, der in Braunschweig lebt und für den regionale Zusammenhänge nichts Neues sind.

„Wir fordern“, so Disterheft, „die Finanzierung und Umsetzung einer Transformationsstrategie für unsere Region, die vor allem kleinen und mittleren Betrieben bei der Veränderung der Arbeitswelt unter die Arme greift. Auch die Weiterführung der regionalen Weiterbildungsverbünde für eine berufliche Qualifizierung unserer Kolleginnen und Kollegen muss hier im Fokus stehen.“

Insbesondere kleine Betriebe brauchen Unterstützung

Der Umbau in der Mobilitätswirtschaft betrifft mehr als 200.000 Beschäftigte in SüdOstNiedersachsen. Damit es nicht zu schwerwiegenden Strukturbrüchen kommt, so die IG Metall, muss die Politik besonders die kleinen und mittelständischen Unternehmen aktiv unterstützen: Beim Aufbau neuer Wertschöpfungsnetzwerke, bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, bei der Qualifizierung der Beschäftigten für neue Tätigkeiten.

Um klimafreundlicher unterwegs zu sein, wird es Verschiebungen im Mobilitätssystem geben. Hierfür ist viel zu tun, macht Christian Matzedda, Zweiter Bevollmächtigter im Wolfsburger Gewerkschaftshaus deutlich: „Bei allen Änderungen muss im Mittelpunkt ein für alle Bürgerinnen und Bürger zugängliches und bezahlbares Mobilitätsangebot stehen. Die IG Metall fordert hierfür den raschen Ausbau der Ladeinfrastruktur und will, dass der Aufbau von Batteriezellfertigung in der Region mit Nachdruck verfolgt wird. Dazu zählt aber auch ein zukünftiges Recycling der Batterien in unserer Region. Darüber hinaus fordern wir die kommende Bundesregierung auf, den öffentlichen Nah- und Fernverkehr weiter auszubauen sowie in die Elektrifizierung und Digitalisierung der Schieneninfrastruktur zu investieren“, macht Matzedda deutlich, der zukünftig auch in der Kommunalpolitik aktiv sein will.

Zentrale Voraussetzung für eine CO2-neutrale Industrie ist darüber hinaus der Aufbau einer tragfähigen und nachhaltigen Wasserstoffinfrastruktur, erläutert Matzedda: „Wasserstofftechnologien können zur energetischen Versorgung ganzer Industriegelände beitragen. Damit wird Wasserstoff auch für zukünftige Wertschöpfung und Beschäftigung zum Hoffnungsträger. Der Ausbau von Produktion und Infrastruktur ist für unsere Region zentral. Wir brauchen die industrielle Produktion von flüssigem Wasserstoff, aber auch die Lagerung bis hin zu Verteilnetzen und den Aufbau einer Infrastruktur zum Betanken von Wasserstoffzügen, wie sie bereits bei Alstom in Salzgitter gefertigt werden.“

Steuersystem muss fair werden

Die Transformation geht mit gewaltigen Finanzierungsbedarfen einher, für die das Steuersystem Mehreinnahmen aufbringen muss. Zugleich nahm in den letzten Jahren die Ungleichheit immer weiter zu, stellt Katrin Mehr, Wohnbezirksleiterin in Velpke fest: „Die IG Metall fordert deshalb auf ganzer Linie ein neues Steuersystem, das wirklich wieder umverteilt, indem die Kapitalseite stärker bei der Finanzierung der Transformation in die Pflicht genommen wird. Dazu zählt die Einführung einer Vermögenssteuer für Vermögen, die 1 Million Euro überschreiten, eine höhere Besteuerung von Unternehmensgewinnen und eine Reform der Einkommenssteuer, um geringe und mittlere Einkommen zu entlasten.“

Als Gewerkschafterin kritisiert Mehr: „Die Arbeitgeber fordern die Rückkehr zur schwarzen Null und wollen Leistungskürzungen bei den Sozialversicherungen durchsetzen. Als Gewerkschaften hingegen fordern wir für unsere Mitglieder und die Beschäftigten eine Abkehr von der schwarzen Null, eine Reform der Schuldenbremse von Bund und Ländern und eine echte Investitionsoffensive in den strukturellen Wandel unserer Region.“

Für Qualifizierung und verstärkte Aus- und Weiterbildung

Die Transformation trifft Branchen und Unternehmen unterschiedlich. Manche Arbeitsplätze werden ganz verschwinden, an anderer Stelle werden neue Geschäftsmodelle mit neuen Produkten, Produktionsprozessen und Wertschöpfungsketten und mit ihnen neue Arbeitsplätze mit neuen Qualifikationsprofilen entstehen. „Klar ist, die Anforderungen an Berufe und Tätigkeiten verändern sich. Deshalb fordern wir Metallerinnen und Metaller tragfähige Brücken in die Arbeitswelt von morgen“, erklärt Klaus-Jürgen Herzberg, Wohnbezirksleiter in Gifhorn.

„Wir brauchen die Einführung eines Transformationskurzarbeitergeldes, das Lohnersatz und Kosten für eine berufliche Weiterbildung während der Kurzarbeit gewährleistet“, fügt Herzberg hinzu. Auch soll es nach den Vorstellungen der IG Metall eine längere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes und einen höheren Harz-IV-Regelsatz mit mehr Möglichkeiten zur Weiterbildung geben.

Ausbildung wieder ausweiten

Um gut für die Transformation und die Jobs und Aufgaben der Zukunft aufgestellt zu sein, braucht es nicht nur eine Weiterbildungsoffensive, sondern ebenfalls eine engagierte Ausbildung. Hier wollen die drei Gewerkschafter zukünftig die Unternehmen und die Politik stärker in die Verantwortung nehmen. „Mit großer Sorge blicken meine jüngeren Kolleginnen und Kollegen auf die Entwicklungen des Ausbildungsmarktes. Die Ausbildungsquoten sinken, auch bei Volkswagen, und die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe nimmt seit Jahren ab“, erklärt Heiko Jordan, Wohnbezirksleiter in Wittingen. 

„Metallerinnen und Metaller aus Wolfsburg, Helmstedt und Gifhorn fordern deshalb eine Garantie für Ausbildungsplätze mit einer umlagefinanzierten Unterstützung durch die Unternehmen, einen Pakt für zukunftsfeste Berufsschulen und Verbesserungen beim dualen Studium und bei den Bedingungen für Studierende. Zum Beispiel durch die Sicherstellung eines Übernahmeanspruches für dual Studierende und die Abschaffung der Altersgrenzen beim BAföG“, sagt Jordan, um Politikerinnen und Politiker in der Region aufzufordern, etwas zu unternehmen und die Forderungen der IG Metall an die Unternehmen zu unterstützen.

Prekäre Beschäftigung eindämmen

„Wir erleben verstärkt, wie sich prekäre Arbeitsverhältnisse konkret auf das weitere Leben auswirken“, so Sabine Timpe vom Wohnbezirk Wolfsburg: „Prekäre Beschäftigungsformen sind inzwischen in der Mitte der Arbeitswelt und in unserer Region angekommen“, erklärt die Gewerkschafterin. Wer nicht festangestellt ist, für den sind Planbarkeit und Vereinbarkeit in der Regel Fremdwörter. Vielmehr sind viele Leiharbeitende ständigen Unsicherheiten unterworfen, mit Folgen für die gesellschaftliche Teilhabe, die Gründung von Familien und den Erwerb von Eigentum. Die aktuelle Transformation von Arbeit und Wirtschaft trifft also auf eine Gesellschaft, die zunehmend ungerecht ist. Diese Verteilungskämpfe führen dazu, dass rechte Parteien an Vorschub gewinnen und sich diese Zukunftsängste der Menschen zu eigen machen, um bei den Wahlen im September mehr Stimmen zu erhalten.“

„Das müssen wir verhindern“, sagt Timpe, „indem wir für mehr Gerechtigkeit in Verteilungsfragen sorgen. Leiharbeit muss stärker eingegrenzt und reguliert werden. Wir brauchen ein scharfes Schwert von der Politik, um die Tarifbindung auch bei der Ausgliederung von Betrieben erhalten und durchsetzen zu können. Darüber hinaus muss die neue Bundesregierung den Mindestlohn weiter erhöhen und der sachgrundlosen Befristung endlich ein Ende machen.“