Frank Patta im Interview mit den Wolfsburger Nachrichten

„Man ist nur in einer Gemeinschaft stark“

04.07.2011 | WN: Wenn es die IG Metall Wolfsburg nicht gäbe, was wäre womöglich in Ihrem Leben anders verlaufen? Frank Patta: (lacht) Dann hätte eine IG Metall gegründet werden müssen. Nein, ernsthaft: Ich komme vom Bau und war auch da schon in der Gewerkschaft. Denn ich bin davon überzeugt, dass man nur in einer Gemeinschaft stark ist. Jeden Tag muss man sich auf neue Situationen einstellen. Hier lernt man Demokratie, Disziplin und in Krisen, Lösungen zu suchen. Das setzt lebenslanges Lernen voraus – das alles bietet die IG Metall.

Frank Patta, 1. Bevollmächtigter der IG Metall Wolfsburg

WN: Lösungen suchen ist ja nicht nur einfach gegen etwas sein oder kämpfen, sondern etwas sehr Kreatives?

Frank Patta: Je länger ich Gewerkschaftsarbeit mache, umso mehr lerne ich: Die ganze Welt besteht aus vielen Grautönen. Nicht alles ist schwarzweiß. Wir können uns in der Gewerkschaftsarbeit nicht immer zu 100 Prozent durchsetzen. In den Kompromissen liegt die Wahrheit. Wir sagen gerne: Ein guter Kompromiss ist, wenn beide Seiten unzufrieden sind. Das verlangt auch Disziplin und wenn ich von Disziplin spreche, dann meine ich auch, dass es wichtig ist, erreichbare Ziele zu stecken, sie konsequent zu verfolgen undschließlich erfolgreich umzusetzen.

WN: Ist Ihre Gewerkschaft ein Traditionsmodell oder in der Moderne angekommen?

Frank Patta: Die IG Metall Wolfsburg ist mit 76.000 Mitgliedern bundesweit die größte Verwaltungsstelle. Wir packen neben tarif- und betriebspolitischen Aufgaben auch Themen wie Gesundheit, z.B. Stress am Arbeitsplatz, an. Wir kooperieren mit Studenten, kümmern uns um Erwerbslose und mischen uns gesellschaftspolitisch ein. Wir sind auch seit fast 30 Jahren in der internationalen Gewerkschaftsarbeit gut aufgestellt. Kurz um: Wir sind am Puls der Zeit, wir sind modern ohne dabei unsere traditionellen Grundwerte zu vergessen.

WN: Wie erklären Sie jungen Kollegen das Verhältnis zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft?

Frank Patta: Der Betriebsrat kümmert sich erstmal ausschließlich um seinen Betrieb. Eine Gewerkschaft darüber hinaus: Wir sind Tarifpartei und können, wenn nötig, zum Streik aufrufen. Ohne eine starke Gewerkschaft im Rücken kann ein Betriebsrat nicht viel für die Arbeitnehmerinnen erreichen. Zusammen aber ist das ein Erfolgsmodell! Gemeinsam kämpfen wir darum, dass die Demokratie weder vor den Werkstoren noch hinter den Werkstoren aufhört.

WN: Eigentlich geht es vielen in unserer Gesellschaft recht gut. Was treibt die IG Metall heute thematisch voran?

Frank Patta: Ich sehe das anders als Sie. Es gibt zwar einen Teil unserer Gesellschaft, dem es gut geht. Aber ich bezeichne das immer als „geliehene Sicherheit“. Wie schnell kann man in Hartz IV in die Armut abrutschen – nur durch Arbeitslosigkeit. Ich kenne Leute mit Studium, die mit über 50 ihren ersten unbefristeten Arbeitsvertrag unterschrieben haben. Daneben gibt es einarbeitendes Prekariat, das noch nicht einmal einen Handyvertrag bekommt, weil regelmäßige Einkünfte und ein fester Arbeitsvertrag fehlen. In der Ära Kohl ist Solidarität zur Folklore verkommen. Aber eine Ellenbogengesellschaft funktioniert nicht, jedenfalls nicht gerecht. Viele Menschen haben Existenzängste. Gerade deswegen sollte man
sich in einer Gewerkschaft zusammenschließen.

WN: Welche erreichbaren Ziele meinen Sie konkret?

Frank Patta: Eine soziale und gerechte Gesellschaft und darum sind wir stolz darauf, in Wolfsburg und der Region eine verlässliche Größe zu sein. Wir haben immer wieder tausende von Arbeitsplätzen gerettet, die höchsten Durchschnittslöhne erreicht, Zeit- und Leiharbeit im Vergleich besser geregelt als anderswo und stehen mit ausreichend Ausbildungsplätzen sehr gut da. Aber auch außerhalb der Betriebe, ich nenne hier nur das Sozialkaufhaus, Starthilfe und das Sozialticket. Deshalb mischen wir uns auch in die Kommunalwahl ein. Bezahlbare Wohnungen, vernünftige Verkehrskonzepte, saubere und bezahlbare Energieversorgung, Bildung stehen für uns genauso im Mittelpunkt wie ein friedliches multikulturelles Miteinander.

Quelle: 65 Jahre IG Metall, Beilage, Wolfsburger Nachrichten, 26.06.2011