Mamma mia, Wolfsburg!

14.12.2020 | Im Dezember 1955 wurde in Rom die „Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Italienischen Republik über die Anwerbung und Vermittlung von italienischen Arbeitskräften nach der Bundesrepublik Deutschland“ unterzeichnet. Anlässlich des 65. Jahrestages dieser Vereinbarung hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil heute zu einem virtuellen Austausch mit Iris Bothe, Stadträtin für Jugend, Bildung und Integration der Stadt Wolfsburg, Christian Matzedda, Geschäftsführer und Zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Wolfsburg, sowie den beiden Zeitzeugen - Lorenzo Annese und Rocco Artale - eingeladen.

Zunächst würdigte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil die Lebensleistung der Gastarbeiter in Deutschland: „Die Menschen, die damals zugewandert sind, waren und sind für unsere Gesellschaft ein großes Geschenk“. Ohne die Helfer aus dem Süden hätte die Industrie in den Wirtschaftswunderjahren kaum so aufblühen können, erklärte Heil. Und Christian Matzedda, dessen Vater 1968 selbst als Gastarbeiter nach Wolfsburg kam, fügte hinzu: „Viele Italiener sind selbstständig - und haben nicht nur in der Gastronomie, im Einzelhandel oder in der Kunst dazu beigetragen, dass Wolfsburg nicht nur mit Pizza, Spaghetti, Espresso und Eis etwas italienischer geworden ist!“

Im Winter 1962 kamen in Wolfsburg die ersten 84 Italiener bei VW an, wie die Stadträtin für Jugend, Bildung und Integration, Iris Bothe, berichtete. Der Konzern hatte in italienischen Zeitungen Anzeigen geschaltet. Allein im ersten Jahr folgten bereits rund 5000 weitere Menschen. Meist waren es Männer, die ihre Familien verlassen mussten - für Frauen war die Arbeitssuche zunächst deutlich schwieriger.

Die beiden IG Metall-Mitglieder und ehemaligen VW-Mitarbeiter sowie -Betriebsräte Rocco Artale und Lorenzo Annese erzählten von ihren Erfahrungen. Artale, der Ehrenbürger von Wolfsburg ist, sagte, er empfinde heute großes Glück - ungeachtet der damaligen Skepsis gegenüber den Neuankömmlingen und der harten Wohnbedingungen in den Baracken des „Italienerdorfes“ neben dem Werk: „Unsere Kinder sind hier geboren. Dafür hat sich diese Geschichte doch gelohnt.“ Annese, der vor dem Wechsel zu Volkswagen erst in der Land- und in der Bauwirtschaft arbeitete, meinte, unterm Strich habe er „sehr gute Erfahrungen mit den Deutschen gemacht“.

Heil bat dennoch im Namen der Bundesregierung um Verzeihung: „Man hat zunächst nur Arbeitskräfte gesehen, nicht Menschen mit ihren Bedürfnissen. (...) Die sogenannten Gastarbeiter haben unserem Land sehr gut getan.“ Dass Deutschland angeblich kein Einwanderungsland sei, halte er für eine „Lebenslüge“ der früheren Bundesrepublik. Auch jetzt zeige der Fachkräftemangel etwa in der Pflege, dass weitere „gezielte Zuwanderung aus Drittstaaten“ gebraucht werde. Das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz sei ein wichtiges Instrument hierfür.

Artale bat Heil, im Bund für mehr Engagement in der Flüchtlingshilfe zu werben. „Wir brauchen einen Korridor“, sagte der Metaller mit Blick auf die gefährlichen Routen über das Mittelmeer. „Die Menschen müssen gesund über das Land kommen, nicht durch ein Todesmeer.“ Annese forderte, die Politik solle Migranten rascher in Arbeit bringen - es müsse mehr Förderung geben, zur Integration gehörten stets zwei Seiten: „Menschen müssen ihr Brot verdienen und anständig bezahlt werden.“