Schulterschluss der Industriearbeiter: Solidaritätsbesuche von Thyssen-Krupp- und Bosch-Beschäftigten

Wolfsburger Metaller läuten Friedenspflicht bei Volkswagen aus

02.12.2024 | Wolfsburg – Jetzt ist es so weit: Die Friedenspflicht ist in der Nacht von Samstag auf Sonntag ausgelaufen, womit Warnstreiks bei der Volkswagen AG nun offiziell möglich sind. Mit einem symbolischen Glockenschlagen läuteten am Samstagabend rund 300 Volkswagen-Beschäftigte und Metaller bei Erbsensuppe, Heißgetränken und Feuerkörben das Ende der Friedenspflicht ein.

Florian Hirsch, VK-Leiter (zweiter von links, am Mikrofon)

Flavio Benites, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Wolfsburg

Vorausgegangen waren zuletzt drei Tarifverhandlungen, in denen das Unternehmen mögliche Werksschließungen und Kündigungswellen nicht ausschließen wollte. Die logische Konsequenz ist nun, dass die IG Metall die Daumenschrauben anzieht und den Druck auf das Unternehmen erhöht. „Volkswagen kann sich auf einen Arbeitskampf einstellen, den sie so noch nie hatten. Mit uns wird es keinen Ausverkauf auf Raten geben“, kündigte Florian Hirsch, Leiter des Vertrauenskörpers bei Volkswagen, mit der Glocke in der Hand an.

Solidarische Unterstützung bekamen die VW-Beschäftigten dabei durch Abordnungen von Vertrauensleuten und Betriebsräten der ebenfalls krisengebeutelten deutschen Industrieunternehmen Bosch aus Hildesheim und Thyssen-Krupp. Letztere waren mit einem ganzen Reisebus extra aus Duisburg angereist, um ihre Solidarität zu bekunden. In den vergangenen Wochen hatten zudem viele weitere Arbeitnehmervertreter zahlreicher Unternehmen nicht nur aus der Region Wolfsburg auf verschiedenste Weise ihre Solidarität mit den VW-Werkern bekundet.

„Es geht um mehr als den aktuellen Konflikt bei Volkswagen. Es geht um die Industrie in Deutschland und Europa, es geht um unsere Zukunft“, machte der Zweite Bevollmächtigte der IG Metall Wolfsburg, Christian Matzedda, deswegen bei seiner Begrüßung auch deutlich. Und mit den Arbeitsplätzen in den Schlüsselindustrien wie der Automobil- oder der Stahlindustrie steht auch der Wohlstand und die Zukunft ganzer Region sowie unsere Demokratie auf dem Spiel, bekräftigte Flavio Benites, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Wolfsburg, mit Blick auf den immer stärker werdenden Rechtspopulismus. „Wir müssen und werden deswegen gemeinsam und entschlossen um jeden Arbeitsplatz kämpfen und erbitterten Widerstand gegen die Schrumpfungs- und Entlassungsfantasien der Unternehmen leisten – an unseren VW-Standorten, bei den Zulieferern und in den Stahlwerken“, sagte Benites.

Bei Volkswagen geht dieser Kampf nun nach eindrucksvollen Protestaktionen mit dem Ende der Friedenspflicht in die nächste Runde. „Warnstreiks sind nicht ab jetzt nicht nur möglich, sondern auch dringend nötig“, sagte IG Metall-Bezirksleiter Thorsten Gröger am Samstag auf der Veranstaltung, an der auch einige Kamera-Teams diverser TV-Sender teilnahmen. Denn: Bisher zeigt sich Volkswagen trotz Entgegenkommens der Arbeitnehmerseite maximal uneinsichtig. So hatten IG Metall und der VW-Gesamtbetriebsrat pünktlich zur letzten Verhandlungsrunde zentrale Eckpunkte eines Zukunftskonzeptes für Volkswagen vorgestellt. Der Lösungsansatz sieht vor, die Sparziele der Unternehmensspitze über Änderungen bei den Personalkosten mit circa 1,5 Milliarden Euro zu flankieren.

Zudem zeigte sich die Arbeitnehmerseite bereit, im Rahmen eines umfassenden Sicherungspakets auch über die befristete Einbringung von Teilen der Ergebnisbeteiligung zu verhandeln. Dies wäre jedoch nur denkbar, wenn der Gesamtplan auch Einschnitte von Vorstand, Management und Anteilseignern vorsieht, um Investitionen in die Zukunft von Volkswagen zu ermöglichen. Ebenso fordert die Gewerkschaft Perspektiven für alle Standorte sowie eine neue Beschäftigungssicherung. 

Wenige Tage nach der Tarifverhandlung sorgten allerdings Aussagen von Markenchef Thomas Schäfer in den Medien für neue Flammen im Tarifkonflikt. „Wiederholt haben verschiedene Vorstände in den letzten Wochen erklärt, dass sie weiterhin an Szenarien festhalten, die auch Werksschließungen vorsehen. Die Stimmung in der Belegschaft ist ohnehin schon aufgeladen, doch der Vorstand sieht es als notwendig an, weiteres Brennholz ins Feuer zu werfen! In den kommenden Tagen wird das Unternehmen die Früchte seiner Entscheidungen ernten: Konflikt und Arbeitskampf! Wir haben uns am Verhandlungstisch kompromissbereit gezeigt, doch unsere ausgestreckte Hand wurde abgewiesen!“, erklärt IG Metall-Verhandlungsführer Thorsten Gröger. „Nun folgen Warnstreiks, die das Unternehmen nicht übersehen kann.“ So werden die VW-Beschäftigten schon am Montag flächendeckend ihre Arbeit temporär niederlegen. 

Die Vorsitzende des VW-Gesamtbetriebsrates Daniela Cavallo betont: „Der Frust in der Belegschaft ist groß. Die Kolleginnen und Kollegen suchen seit Wochen ein Ventil, um Dampf abzulassen. Das ist nun endlich da mit der Möglichkeit für Warnstreiks. Ich bin mir sicher, dass wir einen enormen Zuspruch haben werden, wenn die ersten Aktionen anstehen. Und wohin dann die Belegschaft mit ihrem Unmut will, steht auch unmissverständlich fest: In Richtung Vorstand, der Öl ins Feuer gießt, anstatt seiner Verantwortung gerecht zu werden.“

Zuletzt gab es 2021 punktuelle Warnstreiks bei Volkswagen, an denen unter Pandemiebedingungen tausende Beschäftigte teilnahmen. Größere Warnstreikaktionen fanden 2018 im VW-Haustarifgebiet statt, bei denen mehr als 50.000 Kolleginnen und Kollegen die Arbeit niederlegten. Der Haustarifvertrag bei VW gilt für die sechs Standorte der Volkswagen AG (Braunschweig, Emden, Hannover, Kassel, Salzgitter und Wolfsburg) sowie für die VW-Töchter Financial Services, Immobilien und die dx.one GmbH.

Hintergrund: 
Um in einer Tarifauseinandersetzung mit der Arbeitgeberseite auf Augenhöhe verhandeln zu können, gibt es das Streikrecht – verankert im Grundgesetz und vom Bundesverfassungsgericht ausführlich bestätigt. Ohne ein Streikrecht wären die Beschäftigten und ihre Gewerkschaft immer in der Rolle von Bittstellern. Am 30. November um 24 Uhr endete die Friedenspflicht. Die Friedenspflicht ist die Zeit, in der die Gewerkschaft nicht zu einem Streik aufrufen darf.

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