INTERVIEW MIT KATRIN BERGIEN

Tariferfolg bei Valmet: „Der lange Atem hat sich gelohnt.“

18.09.2019 | Mit der Valmet Automotive Engineering Germany GmbH (VAEG) hat nach dem Unternehmen IAV nun ein weiterer großer Entwicklungsdienstleister einen Haustarifvertrag. Das Tarifergebnis sieht u.a. eine abgesenkte Arbeitszeit von derzeit 40 Stunden auf eine künftige 38-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich vor. Erstmals hat das Unternehmen einen für alle deutschen Standorte geltenden Tarifvertrag abgeschlossen. Rund 800 Beschäftigte profitieren deutschlandweit, davon 230 am Standort Wolfsburg. Von hier ging auch die Initiative für die Verhandlungen aus.

Katrin Bergien

Katrin Bergien ist seit 2012 Mitglied in der Tarifkommission für die Valmet-Beschäftigten und hat die Verhandlungen von Anfang an mit begleitet. In 2018 wurde die 46-jährige zur Betriebsratsvorsitzenden am Standort Wolfsburg gewählt, nachdem der Vorsitzende Andrzej Byrski, der sich sehr für einen neuen Tarifvertrag bei Valmet eingesetzt hat, in den Ruhestand wechselte und kurze Zeit später verstarb.

WIR haben nachgefragt: Was sind die wesentlichen Inhalte eures neuen Tarifvertrages?

»Die Arbeitszeit für die Beschäftigten, die zuvor an einigen Standorten an Individualverträge gekoppelt oder mit Zusatzverträgen verlängert woarden war, beträgt nun einheitlich 38 Stunden. Dieses Ergebnis ist richtungsweisend für die EDL-Branche. In den meisten Betrieben der Branche wird derzeit die 40-Stunden-Woche diskutiert. Wir freuen uns gegen diesen Trend zu steuern. Schließlich hat die IG Metall in anderen Tarifgebieten seit langem eine 35-Stunden-Woche eingeführt.«

Warum ein bundesweiter Haustarifvertrag und wie ist es dazu gekommen?

»Zwei Jahre zogen sich die Verhandlungen zwischen IG Metall und Valmet Automotive hin. Die Initiative für einen deutschlandweiten Haustarifvertrag – neben Wolfsburg hat Valmet Automotive noch Standorte in München, Ingolstadt und Bad Friedrichshall – ist von den Betriebsräten der Wolfsburger IG Metall ausgegangen. Uns ist klargeworden: Wenn wir etwas bewegen wollen, dann müssen wir die anderen Standorte mit ins Boot holen. Denn zunehmend konnten wir feststellen, dass uns das Unternehmen oftmals versucht von Standort zu Standort untereinander auszuspielen: Die einen bekommen etwas, während die anderen etwas dafür hergeben sollen. Unsere Position war es aber, gleiche Arbeits- und Lebensbedingungen für alle Beschäftigten herzustellen und genau das war das Erfolgsrezept. Die daraufhin entstandene Zusammenarbeit mit Betriebsräten und Gewerkschaftsvertretern aus München, Ingolstadt und Bad Friedrichshall hat unsere Verhandlungsposition gestärkt. Und genau dieser Zusammenschluss hat uns am Ende den Tariferfolg eingebracht.«

Euer Tarifvertrag ist nicht nur für Wolfsburg ein Erfolg, sondern deutschlandweit. Aber wie ist es insgesamt um die Branche der Ingenieursdienstleister bestellt?

»Die Entgelte in den EDL-Unternehmen liegen in der Regel unterhalb der in der Automobilindustrie, insbesondere bei Einbeziehung sonstiger Entgeltkomponenten wie z. B. jährliche Sonderzahlungen. Erste Erfolge konnte die IG Metall sowohl bei der Ausweitung der Tarifbindung als auch bei der Gründung von Betriebsratsgremien in EDL-Betrieben erzielen. Die IG Metall wird diesen Weg der betriebs- und tarifpolitischen Erschließung der EDL-Branche, die Teil des unmittelbaren Wertschöpfungsnetzwerks der Metall- und Elektroindustrie ist, konsequent fortsetzen. Wünschen würden wir uns natürlich, dass große Automobilkonzerne in ihren Ausschreibungen berücksichtigen, dass in der Zuliefererindustrie ebenfalls nach Tarifvertrag bezahlt wird. Denn: Solange Betriebe wie Bertrand, EDAG und H&D ohne Tarif sind, haben wir mit Wettbewerbsverzerrungen zu kämpfen.«

Wie ist es um Valmet bestellt? Kann ein Tarifvertrag dazu verhelfen, dass ein Tarifvertrag Antriebsfeder für Innovation wird?

»In den 90er Jahren hatte unser Unternehmen, welches etliche Male verkauft worden ist, über 700 Beschäftigte am Standort Wolfsburg. Dann wurden sukzessive Stellen abgebaut. Heute arbeitet weniger als die Hälfte der Belegschaft hier vor Ort. Ein guter Tarifvertrag kann solchen Entwicklungen in unbeständigen Zeiten etwas entgegensetzen, indem zunächst einmal für Beschäftigungssicherung gesorgt wird. Ein zweiter wesentlicher Schritt ist, dass Betriebsräte in Zeiten von Transformation und Digitalisierung gemeinsam mit ihrer Gewerkschaft und den Beschäftigten im Rücken über eine angemessene Innovationspolitik sprechen. Das bedeutet, dass auch Belegschaften Ideengeber sein können und Veränderungen herbeiführen, die den Kurs eines Unternehmens maßgeblich beeinflussen. Eine solche Unternehmenskultur braucht aber Beschäftigte, die sich ihrem Unternehmen fest verbunden fühlen. Am Standort Wolfsburg gibt es hingegen aktuell ein verstärktes rotieren der Beschäftigten von Arbeitgeber zu Arbeitgeber. Das ist auch verständlich, denn jeder Arbeitnehmer erhebt für sich den Anspruch wechseln zu können, wenn das neue Arbeitsverhältnis attraktiver erscheint. Für uns bei Valmet bedeutet das wiederum, dass uns das Know How immer wieder ein Stück weit verloren geht. Wenn man diesen Beschäftigten aber ein gutes Arbeitsverhältnis mit Tarif einräumt, dann bleiben sie dem Unternehmen erhalten. Nur so kann man Mitarbeiter für das eigene Unternehmen gewinnen und halten, um Innovationen gemeinsam voranzutreiben.«

Warum genau sind Beschäftigte mit einem Tarifvertrag bessergestellt? Welche Vorteile bringt ein Tarifvertrag für Valmet?

»Wenn es im eigenen Unternehmen keinen Tarifvertrag gibt, heißt das: Jede und jeder einzelne muss sich alleine um mehr Geld, eine vernünftige Arbeits- oder Altersteilzeit kümmern. In einem solchen Fall ist der Arbeitgeber lediglich an die gesetzlichen Mindestvorschriften gebunden (z.B. Arbeitszeitgesetz, Bundesurlaubsgesetz, Kündigungsschutz).
Tarifverträge aber setzen Standards und bringen mehr Ruhe in den Betrieb - auch bei Valmet: Indem gleiche Arbeit gleich bezahlt wird. Denn Kolleginnen und Kollegen können dann nicht mehr so leicht gegeneinander ausgespielt werden, weil es Gehaltstabellen gibt, die für alle gelten.
Darüber hinaus verdeutlichen Erhebungen vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI), dass Ingenieurinnen und Ingenieure in tarifgebundenen Unternehmen durchschnittlich 21 Prozent mehr Geld verdienen. An diesen Entwicklungen wollen wir bei Valmet teilhaben.
Deutlich wird aber: Allein mit guten Argumenten kommen IG Metall und Betriebsrat oft nicht weit. Ob wir erfolgreich sind, hängt in erster Linie davon ab, wie viel Druck wir für unsere Sache aufbauen können. Unsere Kolleginnen und Kollegen konnten mit Unterstützung der IG Metall eine Tarifbindung herstellen, in dem sie mehrfach in den Warnstreik getreten sind. Je mehr Kolleginnen und Kollegen in der IG Metall organisiert sind, desto stärker ist unsere Verhandlungsposition – und desto mehr können wir auch in Zukunft für die Belegschaft von Valmet erreichen. Nun gilt es diesen Tarifvertrag zu leben. Hierauf wollen aufbauen und den Tarifvertrag weiterentwickeln.«