Volkswagen nicht in den Wahlkampf ziehen:

Sachliche Debatte gefordert – Andrang bei Unterschriftenaktion groß

15.08.2017 | Wolfsburg - "Es reicht! Volkswagen nicht in den Wahlkampf ziehen!" Die Unterschriftenkampagne hinter diesem Motto ist mit Riesenzuspruch angelaufen.

Die Unterschriftenaktion unter den Volkswagen-Beschäftigten gegen das Ausnutzen des Autobauers als Wahlkampfbühne findet enormen Zuspruch. "Die Kolleginnen und Kollegen stehen Schlange, um die Forderungen zu unterschreiben. An nur zwei Tagen haben bereits 15 000 unterschrieben. Die Aktion trifft ganz offensichtlich einen Nerv", zog VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh eine erste Bilanz. Entsprechend hatte er sich auch am Wochenende gegenüber Deutschlands größter Nachrichtenagentur dpa geäußert. Osterloh betonte in dem Gespräch, dass die Belegschaft sich eine sachlichere Debatte wünsche und dass Polemik dem Unternehmen und den Beschäftigten schade. Die Forderungen fanden online und in den Tageszeitungen vom Montag großen Zuspruch.

Vertrauensleute bei Volkswagen hatten am vergangenen Donnerstag in den deutschen VW-Werken alle 120 000 Beschäftigten aufgerufen, sich an der Unterschriftenkampagne zu beteiligen. Hintergrund sind die beginnenden Wahlkämpfe im Bund und in Niedersachen, wo unter anderem die Beteiligung des Landes in die politische Debatte gekommen war.

Osterloh warb für eine Versachlichung. Es gehe nicht darum, sich VW aus den Schlagzeilen zu wünschen. "Kritik an Volkswagen ist völlig in Ordnung und auch berechtigt, das sehen auch meine Kolleginnen und Kollegen so. Aber zuletzt ist viel Polemik in die Diskussionen über VW gekommen, und das tut uns allen bei Volkswagen weh." Osterloh kritisierte, dass der Autobauer manchem Politiker als Vehikel diene, auf dem es offenbar gelte, sich gegenseitig mit neuen Forderungen an VW und die Branche zu übertrumpfen. "Der Wahlkampf tut sein Übriges, dass die Debatten immer hitziger werden. Wir sollten wieder zur Sachlichkeit zurückkehren."

"Beschäftigte wollen Politik hinter sich wissen - nicht gegen sich"

Osterloh verwies auf "großen Druck", der auf der VW-Belegschaft laste: "Die Menschen bei Volkswagen sehen großen Veränderungen ins Auge. Volkswagen treibt zum Beispiel die Elektro-Mobilität entschieden voran, die Digitalisierung, die ganze Mobilität der Zukunft. Gleichzeitig baut das Unternehmen massiv Stellen ab. Wir gehen durch eine Zeit des Umbruchs. Und die Beschäftigten möchten in dieser Zeit die Politik hinter sich wissen", sagte er der dpa. "Aber wir sehen gerade manchmal leider auch das Gegenteil."

Ähnlich hatte sich Vertrauenskörperleiter Frank Paetzold zum Start der Aktion im NDR-Fernsehen geäußert. Er mahnte eine faire Debatte an. Ein TV-Team war für einen Dreh zu den Vertrauensleuten ins Werk gekommen.

Osterloh warnte mit Blick auf die Debatte über den jüngst erfolgten "Diesel-Gipfel" grundsätzlich vor einer Überlastung der Branche: "Die Automobilindustrie muss massive Investitionen in Milliardengröße für E-Mobilität und umweltfreundliche Antriebe schultern. Deutschlands Schlüsselindustrie mit hunderttausenden Arbeitsplätzen steht vor der größten Umwälzung ihrer Geschichte. Deshalb stellt sich aus Sicht der Beschäftigten schon die Frage: Ist es nicht ein stückweit auch eine Gemeinschaftsaufgabe, dass wir jetzt gemeinsam Fortschritte für Umwelt, Gesellschaft und die Automobilindustrie erzielen. Dazu gehört auch die Zukunft des Diesels, der nach wie vor große Potentiale zur CO2-Reduzierung bietet."

Entsprechende Diskussionen halten er vor der Bundestagswahl allerdings nicht für sinnvoll. "Wir plädieren dafür, dass die Bundesregierung direkt nach der Bundestagswahl Arbeitsgruppen einsetzt, an denen auch die Betriebsratsvorsitzenden der Automobilindustrie beteiligt sein müssen. Im Übrigen hätte ich auch nichts dagegen, dort auch ernstzunehmende Umweltverbände an den Tisch zu holen. Denn es muss um zwei Faktoren gehen: Wie tun wir etwas für den Umweltschutz? Und wie gestalten wir die Transformation der Automobilindustrie für die Beschäftigten, die Kunden und den Standort Deutschland erfolgreich?"

Osterloh kritisierte, dass es aus seiner Sicht dem Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA) und den Unternehmen in der Öffentlichkeit nicht ausreichend gelänge, den Wert der Automobilindustrie für den Standort Deutschland zu vermitteln. "Tut es so weh, auch öffentlich einmal zuzugeben, dass wir als Industrie Fehler gemacht haben und dass wir uns bewegen müssen? Wir als Beschäftigte wollen das. Denn davon hängt die Zukunft unserer Arbeitsplätze ab."

Den "Batterie-Hype" kritisierte der Betriebsratsvorsitzende scharf. "Wir müssen auch dort die gesamte Kette betrachten. Wie hoch ist der Energiebedarf der Batterieherstellung? Und wie ist der Strom-Mix zum Laden?", fragte er. Angesichts des Strom-Mixes in Deutschland sei der tatsächliche Wert beim CO2-Ausstoß derzeit eher schlechter als beim Verbrenner. Auch das problematische Recycling der Batterien müsse bedacht werden.

Als bisher zu wenig beachtete Alternative schätzt Osterloh Erdgasautos ein. "Wir fordern, dass Erdgas gemeinsam von Politik und Automobilindustrie stärker gepusht wird. Das ist gut für die Umwelt und für die Beschäftigung. Denn mit der E-Mobilität sinkt die Wertschöpfung am Auto dramatisch. Das kann bis zu 40 Prozent Beschäftigung kosten. Anders beim Erdgas: Da bleibt die Beschäftigungsbilanz neutral und die Umwelt profitiert sofort."

Volkswagen fördert Erdgasautos im Zuge seiner Umweltprämie mit 1000 Euro sogenannter Zukunftsprämie. Dieser Bonus greift zusätzlich zu den Prämien für eingetauschte alte Diesel.

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