Erster italienischer Betriebsrat wird für sein Wirken geehrt

Lorenzo Annese erhält Bundesverdienstorden

02.10.2024 | Seit Anfang der 60er Jahre lockte das Gastarbeiter-Abkommen zwischen Deutschland und Italien tausende junge italienische Männer nach Wolfsburg an den Mittellandkanal. Viele von ihnen blieben, holten oftmals ihre Familien nach und trugen damit nicht nur maßgeblich zum Erfolg Volkswagens bei, sondern bereicherten auch das gesellschaftliche und kulturelle Leben Wolfsburgs.

Fotograf: Fessum Ghirmazion

Ein Musterbeispiel dafür ist Lorenzo Annese, der bereits 1958 vor der großen Welle nach Wolfsburg kam und dort mit seinem Wirken unter anderem als erster ausländischer Betriebsrat Deutschlands zum Wegbereiter für seine Landsleute wurde.  Der überzeugte Metaller Lorenzo erhielt dafür nun den Bundesverdienstorden. Als einer von 28 Bürgerinnen und Bürgern wurde er von Bundespräsident Frank Walter Steinmeier bei der traditionellen Ordensverleihung zum Tag der Deutschen Einheit in Berlin geehrt.

Lorenzo und die IG Metall - das ist eine ganz besondere Beziehung. „Integration kann nur gelingen, wenn beide Seiten etwas dafür tun. Ich habe hier viel Unterstützung erfahren, in erster Linie von der IG Metall“, sagte der 1937 in Apulien geborene Lorenzo bei der Vorstellung seiner Biografie „Vita da Gastarbeiter“. Der Gewerkschaft hat er dafür mindestens genauso viel zurückgeben. So wurde er der erste ausländische Betriebsrat Deutschlands und leitete fast 30 Jahre lang den Ausländer-Ausschuss. 

Als Anfang der 60er-Jahre die erste große Welle italienischer Gastarbeiter nach Wolfsburg kommt, ist Lorenzo es, der sie im Auftrag Volkswagens und des Betriebsrates am Bahnhof begrüßt. Als Betriebsrat und Gewerkschafter sorgt er für die Integration seiner Landsleute im Betrieb, gleiches macht er auch außerhalb des Werksgeländes beispielsweise durch die Organisation von Veranstaltungen. Seinen Antrieb für dieses Engagement beschrieb Lorenzo einmal simpel: „Ich wollte den Menschen so weit weg vom sonnigen Zuhause etwas Wärme geben. Als die Migration begann, war alles im Prinzip Improvisation. Man hatte gar nicht bedacht, dass es nicht nur Arbeitskräfte sind, sondern dahinter Menschen stecken.“

Er selbst hatte den schweren Weg der Migration da schon vor einigen Jahren angetreten. Geboren 1937 in dem Dorf Alberobello, verlebte Lorenzo Annese eine entbehrungsreiche, von schwerer Arbeit geprägte Jugend als Landarbeiter in einer bitterarmen Gegend Apuliens. 1958, mit 21 Jahren, geht er auf der Suche nach der Perspektive, die ihm der Krieg geraubt hatte, nach Deutschland – ein italienischer „Gastarbeiter“ der ersten Stunde. In Bokensdorf bei Wolfsburg findet er eine neue Welt voller Möglichkeiten und die Liebe seines Lebens, seine Frau Frieda.

Zunächst führt ihn der Weg allerdings nicht zu Volkswagen. Lorenzo schuftet in Fallersleben, schleppt dort Bimssteine. Stets in Sichtweite: Die vier Türme des VW-Kraftwerks, auf die Lorenzo seinen Blick richtet. Wie er schließlich nach unzähligen unbeantworteten Bewerbungen zu Volkswagen kommt, ist eine legendäre Geschichte. Im August 1961 hatte er seinen Traum beinahe schon aufgeben und unternahm einen letzten, verzweifelten Versuch. Er schmuggelt sich eine Gruppe für Werksführungen, setzt sich von ihr ab und geht schnurstracks zum Büro des Personalvorstands. Soviel Eigeninitiative und Hartnäckigkeit wird belohnt und Lorenzo verwirklicht doch noch seinen Traum - und wird schließlich schon wenige Jahre später zum ersten ausländischen Betriebsrat der Bundesrepublik.

Das Werk wird Lorenzo bis zu seiner Rente nicht mehr verlassen. Und sein Engagement für die Gewerkschaft und die Integration reicht bis heute fort. Der Bundesverdienstorden hat einen würdigen Besitzer gefunden.

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