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Information aus erster Hand: Flüchtling hält Vortrag über Syrien und seine Mosaikgesellschaft

18.11.2016 | "Ich bin sehr dankbar für die Sicherheit, Hilfsbereitschaft und Unterkunft, die Deutschland mir bietet. Wenn der Krieg vorbei ist, gehe ich zurück nach Syrien, um mein Land wieder aufzubauen." So lautet die Botschaft des jungen syrischen Flüchtlings Ahmad Tabbakh, als er vor vielen interessierten Besuchern über sein Heimatland, die vielfältige Gesellschaft und kontrovers diskutierte Themen, wie die Stellung der Frau, referierte.

Ahmad selbst kam mit seiner Schwester, ihrem Ehemann und deren Kindern im November 2015 nach Deutschland, kurz bevor ihm eine Inhaftierung drohte, die seinen sicheren Tod bedeutet hätte. In diesem vergleichsweise kurzen Zeitraum hat er bereits bemerkenswert gute Deutschkenntnisse erworben. So hielt er den gesamten Vortrag, mit selbst geschossenen Bildern unterlegt, in deutscher Sprache. Erst bei der sich anschließenden Fragerunde wechselte er auf Englisch und beantwortete die Fragen offen mithilfe einer Dolmetscherin.

Erschüttert verfolgten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Entwicklung und den Verfall seiner Heimatstadt Aleppo, die durch die Besetzung unterschiedlicher Interessengruppen von der Außenwelt abgeschnitten ist; die verbliebenen Einwohner sind einer ständigen Todesgefahr durch Bombardierungen und Scharfschützen ausgesetzt. Unter anderem halten diese sich in der höher gelegenen Zitadelle der Stadt auf, die einst als prunkvoller Königspalast diente.

Ahmad zeigte Bilder aus der Zeit vor dem Krieg, als Syrien ein industriell, wirtschaftlich und kulturell hochentwickeltes Land war. "Mein Großvater betrieb schon Handel mit Deutschland, als es noch in Ost und West geteilt war." Dreimal besuchte dieser Deutschland, daher hatte Ahmads Familie auch gute Kenntnisse über die Lage in Deutschland und seit langem ein sehr positives Bild des Landes.

Seit Kriegsausbruch 2011 sind unzählige Menschen ums Leben gekommen. Ca. 13 Millionen Menschen sind innerhalb Syriens auf der Flucht vor den verschiedenen Kriegsbeteiligten. Auch Ahmads Eltern, die kurzzeitig in den Libanon flüchten konnten und aufgrund von Aufenthaltsversagung wieder zurück nach Syrien mussten, befinden sich noch dort. Lediglich per Handy bleiben ihm kurze Kontaktmöglichkeiten, um sich über ihren aktuellen Aufenthaltsort zu informieren.

Ein besonders emotionaler Moment eröffnete sich, als Ahmad Bilder seiner elterlichen Wohnung zeigte: Eine sehr schön ausgestattete Wohnung in guter Lage. "Vor zwei Tagen haben mich diese Bilder von einem ehemaligen Nachbarn erreicht", sagte er mit deutlich belegter Stimme und zeigt dieselbe Wohnung in Trümmern, ausgebrannt, durch Phosphorbomben zerstört.

"Die deutsche Gesellschaft hat uns unglaublich viel gegeben, jetzt sind wir Flüchtlinge dran, auf sie zuzugehen und den Dialog zu suchen", benannte er die Intention, die ihn unter anderem zu diesem Vortrag bewegt hat.

Islamismus, Katastrophe, Terror – mit all diesen negativen Begriffen wird Syrien momentan ausschließlich assoziiert. Die zivile Gesellschaft aber trage demokratische Vorstellungen in sich, die zu einem bunten Mosaik verschiedenster religiöser und ethnischer Bevölkerungsgruppen geführt habe, auch zu Gleichberechtigung von Mann und Frau. Und tatsächlich: Auf den Bildern, die in seiner Universität und auch in der Stadt entstanden sind, sieht man Frauen und Männer zusammen stehend, einige mit Tüchern um den Kopf, aber mindestens genauso viele nach modernen westlichen Vorstellungen gekleidet.

Unter den Besuchern befanden sich viele Mitglieder des Unterstützerkreises Velpke, der sich aus verschiedenen Bewohnern der Samtgemeinde, in der auch Ahmad und seine Familie untergebracht sind, zusammensetzt. Gemeinsam mit der örtlichen St. Marien Gemeinde schufen die Bürgerinnen und Bürger neben der Nutzung weiterer Immobilien mobile Heime für die Neuankömmlinge.

"Ich hätte mir noch viel mehr Zuhörerinnen und Zuhörer gewünscht, die für das Thema sensibilisiert werden", sagte Stefan Schmitt vom Unterstützerkreis Velpke und lobte Dieter Mollenhauer und Thomas Heyn, Ortsteilleiter des IG Metall-Wohnbezirks Schillerteich, für das Engagement in diesem Bereich. Sie versicherten, weitere Veranstaltungen dieser Art zu organisieren.