Proteste in Ungarn gegen "Sklavengesetz"

Beschäftigte erhöhen Druck auf Regierung Orbán

22.01.2019 | In Ungarn ging es am Wochenende gegen die Regierung Orbán mit landesweiten Protesten schwer zur Sache. Die Beschäftigten lassen sich das "Sklavengesetz" nicht gefallen, das zum Schrubben von Überstunden und faktisch einer Sechs-Tage-Woche führt.

In Ungarn brodelt ist. Am Wochenende gab es im ganzen Land Proteste gegen das neue Arbeitszeitgesetz. Foto: Michael Lichel, IG Metall.

Für vergangenen Samstag hatten vor allem ungarische Gewerkschaften, aber auch Oppositionsparteien, zum gemeinsamen landesweiten Aktionstag aufgerufen. Weil die Regierung Orbán sich weigert, mit den Gewerkschaften über die Rücknahme des "Sklavengesetzes", höhere Mindestlöhne, Wiederherstellung des Streikrechtes von vor 2012 und Verbesserungen im Rentensystem zu verhandeln, sollte das land stillstehen Es kam zu starken Verkehrsbehinderungen in Budapest und rund 60 anderen Städten in Ungarn.

Es gab zahlreiche Demonstrationen, Straßenblockaden und Kundgebungen in Innenstädten. Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes wollen am Donnerstag, 14. März, mit einem weiteren Streiktag nachlegen. In Ungarn wird aktuell über einen Generalstreik debattiert. Auslöser ist das sogenannte "Sklavengesetz", das seit 1. Januar eine "freiwillige" einzelvertragliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten von 400 Überstunden pro Jahr ermöglicht. Darüber hinaus kann per betrieblichem Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung die Ausweitung des Ausgleichszeitraums auf 36 Monate ausgedehnt werden. Gewerkschaften, Opposition und zivile Organisationen arbeiten jetzt daran, das Regime Orbán unter Druck zu setzen, das noch im April 2018 gestärkt aus den Wahlen hervorging.

Die ungarische Gewerkschaftslandschaft ist stark fragmentiert. Es gibt fünf Dachverbände. Klare Position gegen die neue Flexibilisierung der Arbeitszeit beziehen die Verbände MASZSZ (Ungarischer Gewerkschaftsverband) und SZEF (öffentlicher Dienst). Sie und ÉSZT (Verband der Intellektuellen) gehen alle aus den Gewerkschaften vor der Wende hervor. Sie vertreten die meisten Mitglieder. Allerdings gelten in Ungarn betriebliche Organisationsgrade von 25 bis 30 Prozent als hoch. Vasas, die Partnergewerkschaft der IG Metall, gehört zu MASZSZ.

Schmerzhafte Lohnlücke
Seit Jahren beklagen die Beschäftigten in Ungarn die enorme Lohnlücke zwischen westeuropäischen und ungarischen Standorten und empfinden sie als zutiefst ungerecht. Das Thema wird auch von Gewerkschaften in anderen Transformationsländern aufgegriffen. Dabei setzen sie allerdings stärker auf Forderungen an die nationale oder europäische Politik als darauf, aus eigener Kraft höhere Löhne zu erkämpfen. Hier tut sich nun was: Gewerkschaften konzentrieren sich stärker auf Mitgliedergewinnung und -beteiligung. Ein wirklicher Generalstreik scheint jedoch unwahrscheinlich. Die Gewerkschaften fürchten Schadensersatzforderungen.

Eine Chance steckt aber in der Neuregelung der Arbeitszeit. Der neue Ausgleichszeitraum kann in den Betrieben nur durch einen schriftlichen Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung umgesetzt werden. Dafür sind die in den Betrieben repräsentativen Gewerkschaften beziehungsweise die rechtlich sehr schwachen Betriebsräte zuständig. Die 400 Überstunden können Arbeitgeber einzelvertraglich mit den Beschäftigten vereinbaren - auch wenn es Gewerkschaften und Kollektivverträge gibt.

Einzelne Arbeitgeber behaupten derzeit, das Gesetz nicht anwenden zu wollen. Dies könnte allerdings eine Beruhigungstaktik sein. Spätestens wenn im Sommer die Mehrarbeitskontingente aufgebraucht sind, wird das Thema neu auf den Tisch kommen. Gewerkschaften sind also gut beraten, jetzt in den Betrieben dran zu bleiben. Ziel ist, in den Betrieben schnell Regelungen zu vereinbaren, die den Arbeitszeitrahmen von drei Jahren verhindern und einzelvertragliche Regelungen ausschließen. Und hier haben Gewerkschaften ein Streikrecht, weil es um Kollektivverträge geht.

Derzeit gilt es, eine umfassende gewerkschaftliche Bildungs-, Informations- und vor allem Organisierungskampagne in Gang zu setzen. Dabei können starke Gewerkschaften aus anderen Ländern gute Unterstützung leisten. Die IG Metall und Betriebsräte aus Unternehmen mit Standorten in Ungarn haben am 6.Dezember 2018 eine Solidaritätserklärung verfasst. Einer der Unterzeichner ist der Vertrauenskörperleiter von Daimler in Rastatt, Thorsten Kruse. Er sieht die Mobilisierung der Beschäftigten in Ungarn positiv. "Es ist gut, dass der Druck auf die Politik in Ungarn wächst. Wir vom Vertrauenskörper der IG Metall in Rastatt unterstützen das Engagement unserer Kollegen in Ungarn."

Die IG Metall betreibt mit der Metallgewerkschaft Vasas außerdem seit Anfang 2016 ein gemeinsames Bildungs- und Beratungsprojekt. In dem Projekt werden die Vasas-Grundorganisationen in den Betrieben darin unterstützt, bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen und sich mit ihren deutschen Kollegen enger zu vernetzen. Seit Januar 2019 beteiligt sich Vasas außerdem am europäischen Gewerkschaftsnetzwerk "Fair Posting" und eröffnet eine Beratungsstelle in Ungarn für Beschäftigte, die nach Deutschland entsandt werden sollen.

(igmetall.de)