Hartwig Erb im Gespräch

Interview zum Thema Werkverträge

17.08.2015 | Wolfsburg - Nach dem Gesetz zum Mindestlohn hat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles die nächste Regulierung des Arbeitsmarktes im Focus. Noch in diesem Jahr soll ein Gesetzesentwurf für mehr Transparenz und gegen Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen erarbeitet werden. Hauptsache Job, mag so mancher denken. Doch es macht einen Unterschied, ob fest angestellt im Betrieb, in Leiharbeit oder mit Werkvertrag. Bei Werkverträgen hat der Betriebsrat kaum Einfluss. Das ist bei einer festen Stelle oder auch bei der Leiharbeit anders, denn hier gelten Tarifverträge. Der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Wolfsburg, Hartwig Erb, spricht im Interview über Werkverträge, Leiharbeit und den neuen Gesetzesvorstoß der Bundesregierung.

Hartwig Erb

Hartwig, was ist eigentlich ein Werkvertrag ganz genau?

Bei einem Werkvertrag beauftragt der Auftraggeber den Auftragnehmer, in der Regel eine Firma, mit der Erstellung eines Werks. Die Werkvertragsfirma ist verpflichtet, das zugesagte Werk zum vereinbarten Preis für den Kundenbetrieb herzustellen. 

Die beauftragte Werkvertragsfirma handelt dabei unternehmerisch selbstständig. Sie entscheidet selbst, wie, mit wie vielen Leuten und mit welchem Zeitaufwand sie die Arbeit erledigt. Sie verwendet dabei eigene Arbeitsmittel. Und sie ist auch allein verantwortlich und somit haftbar für das Endergebnis. Der Auftraggeber zahlt am Ende den vereinbarten Preis für das vereinbarte Ergebnis - und nicht für Arbeitskräfte oder Arbeitszeit.

Welche Unternehmen nutzen Werkverträge?

Werkverträge gibt es in allen Branchen. Viele Firmen haben Servicebereiche wie Kantine oder Werkschutz ausgelagert. Doch mittlerweile vergeben die Unternehmen immer mehr Tätigkeiten an Werkvertragsfirmen auch aus den Kernbereichen des Betriebes. Dies geschieht im Bereich Forschung & Entwicklung - viele Autohersteller haben die Entwicklung kompletter Komponenten an externe Ingenieurdienstleister ausgegliedert. Auch in der Produktion - bei Volkswagen etwa haben Kontraktlogistiker klassische Aufgaben eines Produktionsbetriebs übernommen. Die Angebotspalette der Logistiker umfasst das Materiallager, die Produktionsbelieferung und Konfektionierung bis hin zur Vormontage kompletter Komponenten.

Was ist der Unterschied zwischen Werkvertrag und Leiharbeit?

Bei einem Werkvertrag bestellt der Kundenbetrieb ein Werk. Bei der Leiharbeit bestellt das Unternehmen Arbeitnehmer. Beim Werkvertrag wird der Erfolg bezahlt. Bei der Leiharbeit die Arbeitszeit. 

Die Mitarbeiter des Werkunternehmers gehören nicht zum Kundenbetrieb. Sie dürfen lediglich bis zu einem gewissen Grad in die Arbeitsabläufe des Bestellers eingebunden sein. Sie unterliegen aber nicht den Weisungen von Vorgesetzten des Kundenbetriebs.

Dagegen gehören Leiharbeiter jedoch zum Kundenbetrieb. Sie arbeiten dort nach den Weisungen der Vorgesetzten und für sie ist auch der Betriebsrat zuständig. Daher dürfen sie auch bei der Betriebsratswahl im Kundenbetrieb mitwählen.

Häufig werden diese Abgrenzungen bei Werkverträgen jedoch nicht eingehalten. Dann spricht man von sogenannten Scheinwerkverträgen, die in Wahrheit versteckte Leiharbeit sind.

Woran erkenne ich als Arbeitnehmer, ob ich im Rahmen eines Werkvertrags arbeite? 

Für den einzelnen Arbeitnehmer ist oft schwer zu erkennen, zu welchen Vertragsbedingungen er arbeitet. Wenn er jedoch dauerhaft auf dem Werksgelände einer anderen Firma Arbeiten für die eigene Firma erledigt, dann liegt vermutlich ein Werkvertrag vor. Wir empfehlen: Fragt Euren Betriebsrat, den Betriebsrat des Kundenbetriebs oder die IG Metall Wolfsburg.

Was bedeutet das für mich als Arbeitnehmer, Hartwig? 

Prinzipiell macht es zunächst einmal keinen Unterschied, ob die Firma selbstständig Produkte und Dienstleistungen am Markt verkauft - oder ob sie im Auftrag anderer Firmen arbeitet. Entscheidend sind die Arbeitsbedingungen und das Entgelt, das im Arbeitsvertrag oder in dem für den Betrieb gültigen Tarifvertrag festgelegt ist. Es gibt auch Werkvertragsarbeit, die sehr gut bezahlt wird. Etwa bei spezialisierten Ingenieurdienstleistern. In der Regel jedoch sind die Arbeitsbedingungen und Löhne schlechter als bei den Stammbeschäftigten im Kundenbetrieb. Häufig werden "Fremdfirmen-Leute" und "Externe" auch deutlich schlechter behandelt: Sie erhalten keine Ermäßigung in der Kantine, keinen Platz im Werkskindergarten und oft auch keine korrekte Arbeitsschutzausstattung.

Wer ist mein Vorgesetzter? Mit wem muss ich meine Arbeitsaufgaben klären?

Ihr Vorgesetzter ist der Chef der Werkvertragsfirma. Der Vorgesetzte im Kundenbetrieb hat streng genommen keine Weisungsbefugnis, wobei in der Praxis natürlich ein fachlicher Austausch in der Projektarbeit nötig sein kann, der aber klar eingegrenzt sein muss. Sie können dem Handwerker zuhause beispielsweise ja auch sagen: "Können Sie mir die Tür lieber andersherum montieren?" Sie können aber von dem Handwerker nicht verlangen, dass er länger arbeitet oder andere Tätigkeiten verrichten soll. Wenn Sie als Werkvertragsbeschäftigter also regelmäßig in Besprechungen zu Projekten einbezogen werden, ist das bereits problematisch.

Wenn jedoch die Vorgesetzten des Kundenbetriebs Ihnen regelmäßig Anweisungen erteilen, dann liegt der Verdacht nahe, dass es sich um einen Scheinwerkvertrag - und damit um versteckte Leiharbeit handelt.

Von wem erhalte ich mein Gehalt?

Von Ihrer eigenen Firma, nicht vom Kundenbetrieb. Der zahlt ja für das Werk und nicht für Sie als Arbeitskraft.

Bekomme ich Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und Prämien wie die anderen Beschäftigten der Firma?

Nein. Anderer Betrieb - andere Baustelle. Es sei denn Ihre Gewerkschaft oder der Betriebsrat setzt das durch.

Wer legt meine Arbeitszeit fest?

Die Werkvertragsfirma. Sie vereinbart die Einsatzzeiten mit dem Kundenbetrieb. Der Vorgesetzte im Kundenbetrieb hat über Ihre Arbeitszeit nicht zu bestimmen. Ansonsten liegt der Verdacht vor, dass es sich um einen Scheinwerkvertrag handelt und damit um verdeckte Leiharbeit. In der Praxis kann es also durchaus sein, dass Sie andere Arbeitszeiten als die Stammbelegschaft haben. 

Welche Rechte habe ich?

Sie sind ein normaler Arbeitnehmer. Daher gelten alle arbeitsrechtlichen Gesetze. Wenn ein Tarifvertrag gilt, dann gilt dieser auch für Sie, wenn Sie Gewerkschaftsmitglied sind. Wenn Sie sich ungerecht behandelt fühlen, können Sie Ihren Betriebsrat informieren oder die zuständige Gewerkschaft, beispielsweise die IG Metall Wolfsburg aufsuchen. Die IG Metall berät und vertritt Sie auch vor Gericht. Wichtig ist aber auch, den Betriebsrat aus dem Kundenbetrieb anzusprechen. 

Wenn es in der Firma keinen Betriebsrat gibt, empfehlen wir, möglichst schnell mit Hilfe der IG Metall einen Betriebsrat zu gründen. Denn nur er kann wirksam überwachen, dass Gesetze und Tarifverträge bei Ihnen auch eingehalten werden.

Ist der Betriebsrat des Kundenbetriebs für mich zuständig?

Der Betriebsrat des Kundenbetriebs ist zwar offiziell nicht für Sie zuständig - in Sachen Arbeitsschutz aber schon. Wenn die Arbeitssicherheit bei Ihnen im Argen liegt, kann der Kunden-Betriebsrat einiges bewirken, da der Kunden-Arbeitgeber für den Arbeitsschutz auf seinem gesamten Werksgelände verantwortlich ist. Zudem kann der Betriebsrat des Kundenbetriebs auch mal ein ernstes Wort mit seinem Arbeitgeber reden, beispielsweise dann, wenn die Firma die Gesetze nicht einhält oder wenn Scheinwerkverträge vorliegen.

Hartwig, was soll mit der neuen Gesetzesinitiative verändert werden?

Der IG Metall geht es nicht um die Abschaffung von Werkverträgen. Es muss aber eine Trennung definiert werden, die eine Unterscheidung zwischen Scheinwerkverträgen und echten Werkverträgen zulässt. Es gibt viele Fälle, bei denen sich ein ganz normales Arbeitsverhältnis hinter Werkverträgen verbirgt - nur ohne angemessene Bezahlung und Absicherung. 

Eine Möglichkeit, die Situation zu verbessern, ist die Umkehr der Beweislast. Momentan müssen Arbeitnehmer vor Gericht noch beweisen, dass ein vollwertiges Arbeitsverhältnis vorliegt. 

Die dazu nötigen Informationen sind den Arbeitnehmern aber häufig gar nicht bekannt. Dafür müssten sie die Absprachen der Unternehmen untereinander kennen. Wenn die Unternehmen selbst beweisen müssten, dass sie einen echten Werkvertrag abgeschlossen haben, würde sich die Situation verbessern. 

Zudem muss der Missbrauch von Werkverträgen durch verschärfte Kontrollen eingedämmt werden. Es ist wie beim Mindestlohn. Die Einhaltung muss kontrolliert werden.

Um die Gesetzesinitiative zu unterstützen machen wir am 24. September einen Aktionstag zu Werkverträgen in der Automobilindustrie. Ingenieure, die als Werkvertragsnehmer der Forschung und Entwicklung von Volkswagen zuarbeiten, werden an diesem Tag klar machen, dass sie die Zweiklassengesellschaft satt haben. Das geht los mit dem Werksarzt auf dem Betriebsgelände. Der ist nur für die Stammbelegschaft. Unsere Betriebsräte bei Volkswagen? Nur für die Stammbelegschaft. Unsere Forderung: Betriebsräte sollen künftig die Interessen aller Beschäftigten auf dem Werksgelände vertreten dürfen. 

Bei den Logistikern stellt sich die Situation noch wesentlich drastischer dar. Viele Mitarbeiter der Logistikbranche haben keine Tarifansprüche oder sind als Leiharbeiter beschäftigt. Die Entgelte in der Kontraktlogistik liegen teilweise 60 bis 70 Prozent unter dem Niveau der Industriebetriebe.