Interview

Bernd Osterloh zur aktuellen Lage bei Volkswagen

25.01.2016 | Wolfsburg - Zur aktuellen Lage bei Volkswagen gab der Gesamt- und Konzernbetriebsratsvorsitzender Bernd Osterloh das folgende Interview.

Bernd Osterloh

Frage: Herr Osterloh, Markenvorstand Dr. Diess hat für die Marke Volkswagen ein 12-Punkte-Programm aufgelegt. Was sagen Sie zur neuen Strategie?

Osterloh: Grundsätzlich sind viele der Handlungsfelder erst einmal richtig. Es ist aber vieles bekannt und im Belegschaftsordner oder vom Betriebsrat seit mehreren Monaten gefordert. Eine neue Strategie für die Marke ist das noch lange nicht. Vieles ist nur an-, aber noch nicht zu Ende gedacht.

Frage: Aber gerade vergangene Woche ist doch die neue Baureihen-Organisation verkündet worden?

Osterloh: Gutes Beispiel. Grundsätzlich finden wir, das ist genau der richtige Schritt, um künftig einen effizienteren Entwicklungsprozess zu garantieren. Die Führungskräfte der Baureihe werden vor allem auch mehr unternehmerische Verantwortung haben. Aber in so einer großen Organisation geht das nicht über Nacht. Und zurzeit gibt es beim Start der Aktion riesige Verwirbelungen, weil noch nicht einmal den beteiligten Bereichen klar ist, wie das genau funktionieren soll. Es muss auch keiner meinen, dass man die Porsche-Baureihen-Organisation eins zu eins auf Volkswagen übertragen könnte. Oder die von BMW. Audi will den Prozess über einen längeren Zeitraum einführen, um die Mannschaft mitzunehmen. Man wird über den richtigen Weg für VW sprechen müssen.

Frage: Das klingt nach großen Veränderungen. Wie begleiten Sie als Betriebsrat diesen Prozess?

Osterloh: Zunächst legen wir großen Wert darauf, dass die Veränderungen mit uns besprochen sind, weil gerade am Standort Wolfsburg viele unserer Kolleginnen und Kollegen betroffen sind. Das ist nicht nur bei der Baureihe so, sondern auch, wenn wir beispielsweise über mehr Freiheiten für die Regionen sprechen. Da werden Funktionen aus der Zentrale in Wolfsburg nach Brasilien, China oder nach Nordamerika gehen. Und Kolleginnen und Kollegen hier sollen neue Funktionen übernehmen. Da geht es genau wie bei der Baureihe darum, dass wir die Menschen an den Veränderungen beteiligen. Zurzeit gibt es da mehr Fragen als Antworten. Das ist schlecht.

Frage: Das klingt nach Spannung zwischen Markenvorstand und Betriebsrat...

Osterloh: Als Betriebsrat finden wir es vor allem dann nicht spannend, wenn die Kollegen verunsichert sind. Das ist momentan ohnehin schon aufgrund des Diesel-Skandals so. Aber auch das 12-Punkte-Programm von Dr. Diess schafft Unruhe. In Teilen funktioniert die Abstimmung mit uns als Betriebsrat schon nicht richtig. Wie soll dann die Belegschaft vernünftig im Boot sein? Da muss Dr. Diess definitiv seine Manager noch besser mitnehmen und entsprechend ausrichten.

Frage: Sie fordern auch immer wieder, dass die Synergien konsequent gehoben werden. Stellen die Baureihen von Dr. Diess das auch sicher?

Osterloh: Das ist nicht nur Markenaufgabe. Um Synergien zu heben, setzen wir auf Herrn Mueller. Das ist Konzernsache. Matthias Müller wird die Baukästen zentral definieren müssen und eine diszipliniertere Umsetzung einfordern. Wir waren uns schon bevor er Vorstandsvorsitzender wurde, darüber einig, dass es aufhören muss, dass sich jede Marke eine Extrawurst brät.

Frage: Herr Osterloh, letzte Woche war die Aufregung groß, weil es in Medien hieß, Volkswagen wolle 10 Prozent Produktivität holen und 10.000 Arbeitsplätze seien gefährdet.... Das Unternehmen hat sich zur Stammbelegschaft bekannt, aber zum Produktivitätsziel geschwiegen...

Osterloh: Natürlich gibt es das 10-Prozent-Produktivitätsziel, das letzte Woche durch die Medien gingen. Das Ziel haben Dr. Diess und Finanzvorstand Antlitz auf der Managementkonferenz in Dresden verkündet. Sie zielen dabei insbesondere auf den indirekten Bereich und die Vorgaben sind im Budget 2016 so auch eingestellt. Mit uns ist das nicht vereinbart, schon deshalb, weil wir dieses Ziel für unrealistisch halten. Unsere Kollegen in den indirekten Bereichen bohren ja nicht in der Nase. Und einer weiteren Leistungsverdichtung werden wir nicht zustimmen. Im Übrigen würden wir gerade in den Angestelltenbereichen natürlich doch über Arbeitsplätze sprechen. Entweder bei uns, oder bei Consultern, von denen wir beispielsweise Tausende in der Entwicklung haben.

Frage: Das klingt so, als würden Sie die Forderung des Unternehmens nach mehr Produktivität ablehnen?

Osterloh: Das haben wir noch nie getan. Wir sehen Produktivität grundsätzlich positiv. Wenn wir dort nicht kontinuierlich besser werden, dann geht das zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit. Aber wir erwarten, dass Volkswagen gleichzeitig die Sicherheit der Arbeitsplätze garantiert. Das ist der Leistungspakt. Und wir haben mit dem Volkswagen-Weg ein Instrument, mit dem wir den Produktivitätsprozess unter Einbindung der Beschäftigten gestalten können.

Frage: Aber Dr. Diess hat am Rande seiner USA-Reise erst wieder gegenüber dem NDR betont, vor allem die deutschen Standorte müssten produktiver werden...

Osterloh: Das habe ich gehört. Fakt ist aber: die Marke verdient ihr Geld vor allem in Europa und China. Und damit mit den ach so teuren und vermeintlich unproduktiven Standorten in Deutschland.

Frage: Wird es zu einer Auseinandersetzung um das Effizienzprogramm kommen?

Osterloh: Nein. Im Gegenteil: Die Belegschaft hat selbst im Effizienzordner viele Vorschläge gemacht, um Komplexität zu verringern, Variantenvielfalt zu reduzieren und Prozesse zu optimieren. Dr. Diess hat diese Vorschläge sehr positiv aufgenommen und viele davon sind bereits in der Umsetzung und bringen der Marke Millionen-Beträge. Aber wir werden darüber sprechen müssen, ob die Ziele von Dr. Diess realistisch sind.

Frage: Haben Sie da intern schon eine klare Meinung?

Osterloh: Ja. Wir legen heute im Wolfsburger Betriebsausschuss im Rahmen einer Klausur fest, wie wir in den einzelnen Themenfeldern weiter vorangehen wollen - aus Sicht der Arbeitnehmer.

Frage: Wie stehen Sie denn zum Themenfeld New Volkswagen

Osterloh: Die Automobilindustrie wird sich in den nächsten Jahren extrem verändern. E-Mobilität und Digitalisierung - da müssen wir ganz vorne dabei sein, dass dürfen wir nicht den Apples und Googles überlassen. Matthias Müller treibt das Thema Digitalisierung seit seinem Amtsantritt konsequent voran. Er schafft endlich die Stellen und Ressourcen, die wir in der Vergangenheit als Betriebsrat schon eingefordert haben. Ich sehe das absolut positiv, dass Matthias Müller diese Themen als Konzernchef persönlich verantwortet. Und dass Herr Jungwirth hier am Konzernsitz tätig ist. Es ist extrem wichtig, dass wir Zukunftstechnologien hier in Wolfsburg ansiedeln - auch wenn wir Labs in der ganzen Welt brauchen werden, um dicht an den digitalen Entwicklungen zu sein. Wir leben längst in einer digitalen Welt. Es geht darum, sie zu gestalten.

Frage: New Volkswagen kommt doch aber aus der Marke Volkswagen?

Osterloh: New Volkswagen zahlt auf die Linie von Matthias Müller ein. Herr Dr. Diess hat da ja in Las Vegas einen ersten Eindruck gegeben von dem, was wir heute schon können. So neu ist das allerdings nicht, sonst hätten wir es ja in den USA kaum zeigen können.

Frage: Klingt so, als seien Sie kein Anhänger von New Volkswagen?

Osterloh: Mir gefällt es überhaupt nicht, wenn jetzt von einigen so getan wird, als müssten sie Volkswagen erst neu erfinden. Wir haben eines der besten Management-Teams der Autoindustrie. Erfahrene Kollegen, die Fahrzeuge in höchster Qualität entwickelt, produziert und verkauft haben. Sonst wären wir kaum so erfolgreich. Ich erwarte, dass das Management und die Belegschaft nicht nur informiert, sondern in den Prozess von Veränderungen mit einbezogen werden. Sonst wird es ohnehin keine Veränderungen geben. Und ich erwarte, dass vor allem die Neuen in der Marke Volkswagen Respekt vor dem haben, was hier geleistet wird.

Frage: Das passt dann ja gut in eine neue Unternehmenskultur, über die ja so viel gesprochen wird...

Osterloh: Zum Thema Unternehmenskultur - und wir sprechen da vor allem über Führungskultur - werden wir auf der nächsten Betriebsversammlung unseren eigenen Prozess starten. Beteiligungsorientiert. Im Übrigen: wir haben eine Betriebsvereinbarung aus den 80er Jahren zu Führungsgrundsätzen. Die bildet bereits das ab, was das Management in der Marke jetzt neu diskutiert. Wichtiger als hektisch Papier zu beschreiben ist: wir müssen das dann auch konsequent leben, wir müssen es kontrollieren, es muss zur Selbstverständlichkeit werden.

Die Unternehmenskultur von Volkswagen hat riesige Stärken. Die gilt es zu bewahren. Dort wo es Schwächen gibt, müssen wir gemeinsam daran arbeiten.

Frage: Haben Sie schon ein klares Bild, was Sie verändern wollen?

Osterloh: Wir machen dazu diese Woche einen Workshop im kleinen Führungskreis des Konzernbetriebsrats. Mit externen Beratern, Fachleuten, um nicht im eigenen Saft zu schmoren. Der Prozess des Unternehmens lässt die Belegschaft und das Management bisher vollkommen außen vor. Wir gehen davon aus, dass sich das jetzt ändern wird, wenn Karlheinz Blessing das in die Hand nimmt.

Frage: Wird sich Herr Blessing als neuer Personalvorstand in Marke und Konzern dazu auch auf der Betriebsversammlung am 8. März äußern?

Osterloh: Es wird eine Talkrunde auf der Betriebsversammlung mit Herrn Blessing und mir geben. Da wird er wohl nicht ganz um das Thema herumkommen (lacht). Im Übrigen spricht auch unser Ministerpräsident Stephan Weil. Und erstmals wird auch Herr Dr. Diess sprechen. Langweilig wird die Veranstaltung also sicherlich nicht. Denn wie Sie gemerkt haben, brennt uns als Betriebsrat einiges unter den Nägeln, was Volkswagen betrifft. Und ich gehe davon aus: dem einen oder anderen Kollegen geht das auch so.

Frage: Es klingt ein wenig so, als sei ihr Verhältnis zu Dr. Diess nicht das Beste...

Osterloh: Dr. Diess provoziert gerne mal, inhaltlich setzt er aber viele richtige Themen. Beim Mitnehmen der Menschen muss er dazulernen. Gerade in einem so großen Unternehmen wie Volkswagen ist das enorm wichtig.

Hinweis: Die Braunschweiger Zeitung hat das Interview in ihrer Ausgabe vom 25. Januar thematisiert.