Schlaglichter - Gewerkschaftsentwicklung in Mexiko

Über 70 Jahre Herrschaft durch die Staatspartei PRI

Die "Institutionelle Revolutionspartei" PRI (Partido Revolucionario Institucional) war in Mexiko seit 1929 an der Macht. Vetternwirtschaft und Korruption prägte die 71-jährige Regentschaft der allmächtigen Staatspartei. Sie herrschte mit Hilfe des berühmt gewordenen "Dedazo". "Dedazo" bedeutet "mit dem Finger zeigen" und war das Privileg der mexikanischen Präsidenten, ihren Nachfolger per "Fingerzeig" zu ernennen. Die PRI griff zum Erhaltung ihrer Macht immer häufiger zu Repression, Manipulation sowie massiven Einschüchterungsversuchen, Stimmenkauf und Wahlbetrug.

Seit Dezember 2000 regiert in Mexiko Vicente Fox von der liberalkonservativen PAN (Partido Acción Nacional). Durch seinen Wahlsieg wurde die Herrschaft der PRI beendet.

Gewerkschaften in Mexico entwickeln sich

Die Gewerkschaften in Mexiko entstanden auf der Basis berufsbezogener Gruppen: Das heißt, jede Berufsgruppe hatte ihre eigene Gewerkschaft. 1981 waren drei Millionen Arbeitnehmer in fast 16.000 Gewerkschaften organisiert. Diese Zersplitterung der Gewerkschaften machte eine gemeinsame Politik der Interessen der Arbeitnehmer einer Branche unmöglich.

Um als Verhandlungspartner gegenüber den Unternehmern anerkannt zu werden, mussten sich Gewerkschaften im Arbeitsministerium registrieren lassen und ihre Funktionäre namentlich nennen. Dadurch erhielt der Staat noch eine zusätzliche Kontrollfunktion, um politisch missliebige Gewerkschaften ausschließen zu können. Gewerkschaften müssen auch heute noch sich und ihre Funktionäre anmelden.

Industriegewerkschaften, welche die Beschäftigten einer ganzen Branche organisierten, waren eine große Ausnahme. Arbeiter und Angestellte durften nicht derselben Gewerkschaft angehören. Fast alle organisierten Arbeitnehmer gehörten den Staatsgewerkschaften an, deren Mitglieder automatisch der PRI angegliedert waren und zu den wichtigsten Stützen des politischen Systems gehörten. Die großen traditionellen Dachverbände waren Konkurrenzverbände, die sich gegenseitig Mitglieder abwarben.

SITIA VW - die Gewerkschaft von "Volkswagen de Mexico"


"Volkwagen de Mexiko, S.A. de C.V." wurde am 17. Januar 1964 in Puebla gegründet. Bereits einige Monate, bevor die Produktion anlief, gründete sich die erste Gewerkschaft bei VW in Mexiko. Anfangs noch Mitglied des größten offiziellen Staatsgewerkschaftsverbandes CTM (Confederación de Trabajadores de México) und dem gewerkschaftsoppositionellen Dachverbandes UOI (Union Obrera Indipendiente) trat SITIA VW Anfang der 80 er Jahre nach internen Auseinandersetzungen aus diesen Dachverbänden aus und war seitdem eine unabhängige und völlig selbständige Unternehmensgewerkschaft. Seit 1998 gehört die Gewerkschaft dem Dachverband FESEBES (einem Zusammenschluß "moderner" Dienstleistungsgewerkschaften) an.

SITIA VW besteht aus mehreren Ebenen wie dem Exekutivkomitee (Comité executivo), welches im Gewerkschaftshaus sitzt und oberster Verhandlungspartner für die Unternehmensleitung bei Volkswagen ist. Ein Netz von Delegierten (Delegados), die jeden Tag zum Schichtende zwei Stunden freigestellt sind, ist Ansprechpartner für die Kollegen im Betrieb. Allerdings beschränkt sich deren Arbeit hauptsächlich auf die Regelung politischer Konflikte. Die Delegados haben keinerlei bestimmenden Einfluss auf die Politik des Exekutivkomitees, sondern nehmen ausschließlich betriebspolitische Rechte auf der Grundlage des Tarifvertrages wahr.

Ein Großteil der Gewerkschaftsarbeit findet außerhalb des Betriebes statt: es werden Wohnungen und Jobs vermittelt, es gibt ein vergünstigtes Einkaufszentrum, eine eigene Sportanlage und ein Beerdigungsinstitut.

"Echtes Wahlrecht, keine Wiederwahl" - das System der "No-Reelección"

In Mexiko besteht das System der "No-Reelección". Dies bedeutet, dass eine Wiederwahl von politischen Ämtern nicht möglich ist. Es wurde Anfang des 20. Jahrhunderts nach der 30jährigen Diktatur von Porfirio Diaz eingeführt. Dieses System war eine der wichtigsten Errungenschaften der mexikanischen Revolution und drückte den Wunsch nach der Überwindung einer 30jährigen Dauerherrschaft aus.

Dies hieß aber auch, dass der Wechsel jedes Mal ein vollständiger Bruch war. Es gab keine traditionsbildende Diskussionskultur. Politische Inhalte wurden ausschließlich durch Personen, aber nicht durch eine historische Entwicklung bestimmt. Neu gewählte Mitglieder waren völlig unerfahren und mangelhaft vorbereitet, abtretende Mitglieder wurden in der Regel aus der Gewerkschaft entlassen und verloren somit auch ihren Arbeitsplatz bei Volkswagen.

Es galt das "closed-shop"-Prinzip: jeder Arbeiter musste der Gewerkschaft angehören und durfte nur auf Vorschlag der Gewerkschaft beschäftigt werden. Zur Zeit der Mitgliedschaft der VW-Gewerkschaft in der UIO war es üblich, dass der jeweilige alte Vorstand vom neuen Vorstand aus dem Betrieb hinausgeworfen wurde. Dadurch saß man als Mitglied der VW-Gewerkschaft sozusagen auf einem "Schleudersitz" und war oft hauptsächlich damit beschäftigt, zu versuchen, eine Satzungsänderung durchsetzen oder sich genügend finanzielle und Beziehungsressourcen für die Zeit danach anzusparen.

Seit Mitte der 90er Jahre ist durch Statutenänderung eine Wiederwahl der Mitglieder möglich. Aber das Problem hat sich bis heute nicht gravierend geändert. Bislang ist noch keinem neuen Komitee die Wiederwahl gelungen. "Immer wieder werden die Erfahrungen in dem Papierkorb geschmissen. Wir werden, wenn wir nicht wieder gewählt werden, unser Wissen und alle Informationen schriftlich zurücklassen. Die Neuen sollen nicht blind dastehen, so wie es uns errangen ist." (Mitglieder des Exekutivkomitees; aus dem Reisebericht 1999 der InterSoli-Gruppe Mexico)

Aktueller Kontakt mit der SITIA VW

Seit Anfang 2000 ist José Luis Rodríguez Salazar, Generalsekretär der SITIA VW und des Exekutivkomitee. Er hat von Anfang an mit der InterSoli-Gruppe, sei es per Fax, e-Mail oder durch persönliche Gespräche in Wolfsburg, Puebla, Lissabon oder Bratislava, Kontakt gehalten und den Wolfsburger Kolleginnen und Kollegen somit wertvolle Informationen zukommen lassen.

In seiner Amtszeit fallen die schweren Streiks für Lohn- und Leistungsverbesserungen 2000 und 2001 (19 Tage lang); der politische Machtwechsel in Mexiko durch Präsident Fox und sein Versuch, das Land durch Reformen zu modernisieren.

José Luis Rodriguez Salazar möchte, wie in Wolfsburg eine Flexibilisierung der Lohn- und Arbeitszeitverträge erreichen, um damit gegen die schwere Produktionskrise zu lenken, die Mexiko im Griff hat. Nachdem ca. 2.500 Arbeiter in den letzten zwei Jahren nicht weiter beschäftigt werden konnten, ist es wichtiger denn je.

(April 2005)